Übergewichtsbedingten Dickdarmkrebs besser verstehen
Am 19. Februar 2020 präsentierte Dr. Krasimira Aleksandrova, Leiterin der Senior Scientist Group „Ernährung, Immunität und Metabolismus“, die Ergebnisse ihrer Habilitationsschrift in einem öffentlichen Kolloquium. Vor rund 50 Zuhörerinnen und Zuhörern referierte sie im Konferenzzentrum des DIfE über den Zusammenhang von Adipositas und Darmkrebs. Gemeinsam mit ihrem Forschungsteam hat Aleksandrova verschiedene Biomarker identifiziert, die für Entzündungsprozesse, Immunsystem und Stoffwechsel eine Rolle spielen und gleichzeitig mit krankhaftem Übergewicht und Dickdarmkrebs assoziiert sind. Die neuen Marker könnten nicht nur helfen, Risiken früher zu erkennen, sondern tragen auch dazu bei, die Mechanismen der Dickdarmkrebsentstehung besser zu verstehen.
Die Blutproben der Studienteilnehmenden werden auf Lagerplatten in Racks bei -196 °C in flüssigem Stickstoff gelagert. (Foto: David Ausserhofer/DIfE)
Schweres Problem
Die Zahl der Menschen mit Adipositas (Fettleibigkeit), d. h. mit einem Body Mass Index größer als 30 kg/m2, steigt seit Jahrzehnten kontinuierlich an und liegt laut Daten der Weltgesundheitsorganisation von 2018 mittlerweile bei rund 600 Millionen Betroffenen weltweit. Gleichzeitig ist Krebs die Todesursache Nummer eins. Allein in 2018 gab es bei Dickdarmkrebs global 1,8 Millionen Neuerkrankungen.
Es existieren bereits zahlreiche Übersichtsarbeiten und Hypothesen, die darauf hinweisen, dass Adipositas in enger Verbindung mit Darmkrebs steht. Ziel der DIfE-Epidemiologin war es nun aber, diese Studien erstmals zu überprüfen: „Anhand von modernen epidemiologischen Methoden ist es uns gelungen, eine systematische Bewertung des Zusammenhangs zwischen Fettleibigkeit und Krebs am Menschen durchzuführen.“ Dafür bewertete das Forschungsteam verschiedene Biomarker, sichtete zahlreiche Reviews sowie Metaanalysen und nutzte die Daten aus der bisher größten europäischen Langzeit-Beobachtungsstudie EPIC (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition), an der rund 521.000 Frauen und Männer aus zehn europäischen Ländern teilnehmen.
Neue Hinweise zur Entstehung von übergewichtsbedingtem Dickdarmkrebs
Mit ihren umfangreichen Analysen stellte Aleksandrova fest, dass eine Ansammlung von Bauchfett, ein gestörter Zuckerstoffwechsel und eine Gewichtszunahme im Erwachsenalter das Darmkrebsrisiko stark erhöhen. Die Wissenschaftlerin konnte zudem einen positiven Zusammenhang zwischen erhöhten Konzentrationen des C-reaktiven Proteins – ein typischer Entzündungs-Biomarker bei Adipositas – und dem Risiko für Dickdarmkrebs zeigen. „Die Ergebnisse haben uns nicht überrascht. Denn das Fettgewebe von stark übergewichtigen Menschen befindet sich in einem chronisch-entzündlichen Zustand. Es setzt entzündungsfördernde Botenstoffe im Körper frei, welche die Entstehung von Krebs begünstigen“, sagt Aleksandrova.
Drei der untersuchten Biomarker waren besonders stark mit Übergewicht und dem Auftreten von Dickdarmkrebs assoziiert: das „gute“ HDL-Cholesterin, niedermolekulares Adiponektin und der lösliche Leptinrezeptor. Je weniger dieser Marker im Blutspiegel der Studienteilnehmenden nachweisbar waren, umso höher war ihr Risiko, an Darmkrebs zu erkranken.
Darüber hinaus gelang es der Wissenschaftlerin auch Neopterin, ein Botenstoff des Immunsystems, als Biomarker für übergewichtsbedingten Darmkrebs zu identifizieren. Sowohl ein hoher als auch ein niedriger Neopterinspiegel gehen mit einer gesteigerten bzw. mit einer verminderten Aktivität des Immunsystems einher und deuten somit auf ein Krankheitsgeschehen im Körper hin. „Interessanterweise sorgt eine Zunahme des Bauchfetts dauerhaft für eine erhöhte Ausschüttung von Neopterin. Diese geht wiederum mit einem gesteigerten Dickdarmkrebsrisiko einher. Unser Lebensstil – also was wir essen, wie viel wir uns bewegen, ob wir rauchen, Alkohol trinken oder eben nicht – beeinflusst unser Immunsystem enorm. Diesen Aspekt sollten wir unbedingt im Auge behalten. Ein starkes Immunsystem ist der Schlüssel zu einem stabilen Gesundheitszustand“, erklärt Aleksandrova.
Früherkennung als Teil erfolgreicher Präventionsstrategien
Um die biologische Funktion der neuartigen Biomarker zu verstehen, sind weitere Studien nötig. Wenn es gelingt, diese Ergebnisse in anderen Kohorten zu replizieren, wäre der Übergang in die experimentelle Forschung geebnet. „Sollten sich unsere Biomarker etablieren, könnten sie als Frühindikatoren die Vorhersage von Darmkrebs verbessern und somit auch genutzt werden, um die Erfolge von Präventionsstrategien zu überprüfen.“
Im Anschluss an ihren Vortrag stellte sich die DIfE-Wissenschaftlerin in einer offenen Diskussionsrunde den Fragen des vierköpfigen Prüfungsausschusses* und des Publikums. Um auch ihre pädagogisch-didaktische Eignung unter Beweis zu stellen, hält Aleksandrova demnächst eine Vorlesung für Studierende der Ernährungswissenschaft der Universität Potsdam. Wie der Prüfungsausschuss am Ende der Veranstaltung mitteilte, hat Krasimira Aleksandrova den größten Teil ihres Habilitationsverfahrens nun bereits erfolgreich abgeschlossen.
*Prüfungsausschuss:
- Vorsitz: Prof. Dr. Burkhard Kleuser: Leiter des Instituts für Ernährungswissenschaft der Uni Potsdam, Lehrstuhl für Toxikologie
- Prof. Dr. Tanja Schwerdtle, Lehrstuhl für Lebensmittelchemie an der Uni Potsdam
- Prof. Dr. Tilman Grune, Wissenschaftlicher Vorstand des DIfE
- Prof. Dr. Matthias Schulze, Leiter der Abteilung Molekulare Epidemiologie am DIfE
Zur Person
Dr. Krasimira Aleksandrova absolvierte den Masterstudiengang im Fach Public Health an der Hebrew University in Jerusalem, Israel. Anschließend studierte sie Health Care Management an der Medizinischen Universität Varna, Bulgarien, und promovierte dort im Fach Medizin und Gesundheitswesen. Im Jahr 2009 kam die gebürtige Bulgarin ans DIfE und forschte in der Abteilung Epidemiologie unter der Leitung von Professor Heiner Boeing. Seit 2018 leitet sie die Senior Scientist Group „Ernährung, Immunität und Metabolismus“. Aleksandrova hat bereits an mehr als 100 Publikationen mitgearbeitet. Über 20 Mal fungierte sie als Erst- bzw. Letztautorin. 2018 erhielt sie den mit 5.000 Euro dotierten Felix Burda Award in der Kategorie „Medizin & Wissenschaft“.