Forschende im Fokus: Im Gespräch mit Dr. Rachel Lippert

Anhand von Mausmodellen untersucht Dr. Rachel Lippert am DIfE, wie die mütterliche Ernährung während der Schwangerschaft das Verhalten der Nachkommen im späteren Leben beeinflussen kann. Wir sprachen mit der 34-jährigen Neurowissenschaftlerin über ihre Faszination mit der Wissenschaft und darüber, wie wir von einem besseren Verständnis neuronaler Schaltkreise profitieren können.
 

  • Audio.mp3 (auf Englisch)

Wer bist Du und worum geht es in Deiner Forschung?

Ich bin Rachel Lippert und komme ursprünglich aus den USA. Promoviert habe ich bei Dr. Roger Cone und Dr. Kate Ellacott an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee. Nach meiner Promotion bin ich nach Deutschland gezogen, um ein Postdoktorandenstipendium bei Dr. Jens Brüning am Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung in Köln zu absolvieren. Die Kombination der Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit Roger, Jens und Kate, führte dazu, dass ich mehr darüber herausfinden wollte, wie unser Gehirn unser Essverhalten steuert und welche Schaltkreise dafür verantwortlich sind, uns mitzuteilen, wann wir hungrig sind, wie wir uns rund ums Essen verhalten und wie wir auf Essen reagieren sollen.

Insbesondere während meiner Zeit mit Jens wuchs dann mein Interesse für die mütterliche Umgebung, also wie die Ernährung einer schwangeren Frau, im sich entwickelnden Gehirn der Nachkommen beeinflussen kann, wie sich Nervenzellen bilden und miteinander verschalten, um Signale über Hunger und Verhalten zu erzeugen."

 

Wann hast Du angefangen, Dich für wissenschaftliche Themen zu begeistern?

Es begann alles mit großartigen Lehrern. Ich kann mich gut daran erinnern, dass ich in der fünften oder sechsten Klasse – als ich ungefähr 11 Jahre alt war – eine Lehrerin hatte, Frau Hart. Sie war wunderbar darin, uns wissenschaftliche Themen über praktische Anwendungen zu vermitteln. Bei ihr lernte ich, wie man ein ganzes Haus – also ein Haus-Modell – elektrisch verschaltet. Oder wir haben Flaschenraketen gebaut, abgeschossen und vorhergesagt, wie weit sie fliegen. Diese Erfahrung war wirklich fantastisch, weil wir das, was wir in der Schule lernten, tatsächlich anwenden konnten.

Als ich ungefähr 17 Jahre alt war, habe ich meine erste klinische Studie durchgeführt (lacht). Das ist mir heute bewusst geworden, als ich über dieses Interview nachgedacht habe. Ich wollte die Regenerierung des basalen Herzschlags nach anstrengenden Übungen untersuchen. Das war zu dieser Zeit ein spannendes Thema. Aber jetzt, wo mir klar ist, dass ich damals Menschen aus meiner Gemeinde dazu bringen konnte, mit Höchstgeschwindigkeit auf einem Laufband zu laufen, bin ich sehr dankbar, dass sie an mich geglaubt und teilgenommen haben. Es hat mich einfach schon immer interessiert, das Gelernte anzuwenden und in der realen Welt zu sehen. Und ich denke, dieses Interesse hat sich dann auf mein Studium übertragen.

 

Was treibt Dich an, jeden Tag zur Arbeit zu kommen?

Es ist wirklich ein großes Privileg, in der Position zu sein, die ich jetzt beim DIfE habe. Dass ich zur Arbeit kommen und sagen kann: „Das ist ein wichtiges Thema. Das ist etwas, über das wir mehr verstehen sollten. Das ist etwas, das wir in die Gesellschaft tragen müssen.“ Und jetzt, wo ich in einer Position bin, in der ich tatsächlich solche Feststellungen und Entscheidungen treffen kann, inspiriert mich genau das.

 

Inwiefern ist Deine Forschung wichtig für die Gesellschaft?

Wenn ich mit anderen Menschen über meine Forschung spreche, fällt es mir leicht, Geschichten zu finden, die alle verstehen. Dafür nutze ich gerne den Begriff „Hangry“. Dahinter verbirgt sich, dass, wenn jemand wirklich, wirklich hungrig ist, wütend oder gereizt werden kann. Die meisten Menschen sind entweder selbst so – wie ich (lacht) – oder sie kennen jemanden, der dieses Verhalten hat. Und dann zu sagen, dass wir noch nicht verstehen, wie dieses Verhalten erzeugt wird, aber dass wir dies im Labor zu verstehen versuchen: Wir versuchen zu verstehen, wie die Nahrungsaufnahme, ob wir nicht oder zu viel gegessen haben oder ob wir die falsche Art von Essen gegessen haben, wirklich unseren emotionalen Zustand und unser Verhalten beeinflussen können. Ich denke, es ist enorm wichtig diese Zusammenhänge zu verstehen, denn dahinter verbirgt sich die ganze Dynamik unserer Interaktion und unserer Funktionsweise innerhalb der Gesellschaft. Das alles hängt sehr von der Nahrungsaufnahme und dem Energiezustand ab.

 

Was bedeutet das für Deinen aktuellen Forschungsfokus hier am DIfE?

Was uns momentan interessiert, ist, wie mütterliche Überernährung die Gehirnentwicklung beeinflussen kann. Es gibt viele Untersuchungen – Grundlagenforschung an Tiermodellen[1], aber auch Untersuchungen am Menschen[2] –, die gezeigt haben, dass Fettleibigkeit, Gewichtszunahme und Diabetes bei Müttern mit Veränderungen im Verhalten und im Stoffwechselzustand des Kindes einhergehen. Daher ist es für uns sehr wichtig, zu verstehen, wie die Ernährung einer schwangeren Frau – also die Bestandteile von Lebensmitteln, der Umfang der Speisen oder der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme – die Entwicklung des ungeborenen Kindes beeinflussen kann. Wir kennen noch nicht alle Details, aber wir wissen, dass es einen sehr starken Zusammenhang zwischen ungesunder Ernährung während der Schwangerschaft und langanhaltenden Auswirkungen auf die Nachkommen gibt.

Es gibt Menschen, die besonders viel essen, wenn sie gestresst sind. Sie snacken, haben vielleicht sogar eine Schublade voll mit Süßigkeiten und wenn sie sehr gestresst sind, bedienen sie sich an diesem Vorrat. Es gibt aber auch Menschen, die, sobald sie gestresst sind, komplett aufhören zu essen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass diese beiden unterschiedlichen Verhaltensweisen durch die Umgebung beeinflusst werden, der wir während der Entwicklung im Mutterleib ausgesetzt sind. Und allein die Vorstellung, dass unser Verhalten heute im Erwachsenenalter eine direkte Widerspiegelung der Ernährungsumgebung sein könnte, der wir in der Gebärmutter ausgesetzt waren, finde ich einfach faszinierend. Dass etwas, das so früh im Leben passiert, einen so langanhaltenden Effekt auf unser allgemeines Verhalten haben könnte.

 

Sind sich Schwangere dieses „Problems“ bewusst? Nach meiner Erfahrung essen Schwangere oft mehr als sie eigentlich brauchen.

Das ist ein schwieriges Thema, weil man während einer Schwangerschaft ja tatsächlich mehr Kalorien benötigt. Klar! Man erschafft ein ganz neues Leben. Aber Menschen, die sich in der Nähe einer schwangeren Frau befinden, tendieren oft dazu, die Ernährung der werdenden Mutter überhaupt nicht in Frage zu stellen, weil wir die Mentalität haben: „Sie isst für zwei“, „Sie hat seltsame Verlangen“, „Es ist in Ordnung, wenn sie einen riesen Packung Eis essen möchte. “ Aber ich denke, viele Menschen kennen die tatsächlichen Ernährungsbedarfe während der Schwangerschaft nicht. Ich weise oft darauf hin: Während des ersten Schwangerschaftstrimesters müssen nicht mehr Kalorien konsumiert werden. Erst im dritten Trimester sollten mehr Kalorien aufgenommen werden. Aber dieses "mehr an Kalorien" sind ungefähr 350 bis 500 Kilokalorien pro Tag. Dies entspricht einer Avocado oder einer halben Tüte Haribo. Und obwohl eine Avocado und eine halbe Tüte Gummibärchen den gleichen Kaloriengehalt haben, unterscheiden sie sich sehr, sehr stark in ihrem Makronährstoffgehalt, also wie viel Zucker oder Fett sie haben. Bisher verstehen wir die Auswirkungen der Lebensmittelauswahl in dieser sensiblen Entwicklungsphase noch nicht ausreichend.

Mir ist bewusst, dass es für Schwangere eine überwältigende Zeit ist. Es gibt so viele Dinge, die sie tun müssen oder nicht dürfen. Und für manche Menschen ist Essen nichts, worüber sie sich im Allgemeinen Sorgen machen. Somit ist es schwierig, diese Einstellung zum Thema „gesunde Ernährung während der Schwangerschaft“ zu ändern und darauf hinzuweisen, dass das Ernährungsverhalten eine dramatische Auswirkung auf unsere Kinder haben kann. Es wird niemals mein Ziel sein, den Frauen die Zeit der Schwangerschaft zu vermiesen oder durch Ernährungsregeln stressiger zu machen. Viel eher möchte ich es den Frauen leichter machen, wirklich zu verstehen, was „gesund“ ist.

 

Gibt es verlässliche Daten, die zeigen, dass schwangere Frauen während der Schwangerschaft zu viel an Gewicht zunehmen?

Es gibt da eine ganze Reihe von Studien. Eine, auf die ich ziemlich oft hinweise, ist eine Metaanalyse, die vor zwei Jahren durchgeführt wurde. Für eine Metaanalyse fasst man eine Kombination verschiedener Studien, die sich mit dem gleichen Thema befasst haben, in einer Studie zusammen. Die Autoren der besagten Metaanalyse untersuchten über eine Million Schwangerschaften beim Menschen und zeigen, dass die Hälfte dieser Frauen während der Schwangerschaft mehr als das empfohlene Körpergewicht zunahmen.[3]

In den USA gibt es ein Institut, das „Institute of Medicine“. Es veröffentlicht weltweit akzeptierte Richtlinien für die empfohlene Gewichtszunahme während der Schwangerschaft. Laut dieser Kriterien nahm die Mehrheit der Frauen in westlich geprägten Kulturen mehr als die empfohlene Menge an Körpergewicht zu.

 

Was muss getan werden, um diese Entwicklung zu stoppen?

In den letzten zwei Jahren gab es eine Reihe von Studien, in denen versucht wurde, Verhaltensinterventionen während der Schwangerschaft durchzuführen, um Frauen darin auszubilden, Lebensmitteletiketten richtig zu lesen und zu verstehen. Die Auswertung dieser Studien zeigte jedoch, dass die Interventionen nicht erfolgreich waren. Es geht also nicht nur um Bildung oder Verhalten. Dies ist eine Herausforderung, die nicht unbedingt direkt für mein Forschungsteam und mich, sondern allgemein auf dem Gebiet der perinatalen Ernährung besteht: Wir müssen wirklich verstehen, wie wir die Einstellung zu gesunder Ernährung während der Schwangerschaft ändern können. Und wie können wir die Allgemeinmediziner, Geburtshelfer und Gynäkologen, die jeden Tag mit schwangeren Frauen arbeiten, noch weiterbilden und sie dazu zu bringen, zu sagen: „Das ist enorm wichtig und das müssen wir unbedingt besser machen!“ Aber wir, das kollektive „Wir“ der Forscher, müssen herausfinden, wie das funktionieren könnte.

 

Du bist sehr aktiv auf Twitter und ziemlich offen für alle Arten von Wissenschaftskommunikationsformaten. Inwiefern profitierst Du von diesem Engagement?

Wenn es um Wisskomm und Outreach geht, gibt es drei Gründe, warum ich mich dafür einsetze. Zum einen bin ich in meiner aktuellen Position Mentor für andere und es ist mir wichtig, dass ich auch praktiziere, was ich predige.

Der zweite Grund, warum ich Wisskomm mache, ist, dass meine Forschung aus öffentlichen Mitteln gefördert wird, und ich denke, dass es wirklich wichtig ist, dass wir – in einer Weise, die für jedermann zugänglich ist – zeigen, was wir mit dieser Förderung machen.

Durch die Teilnahme an Formaten wie Soapbox Science, Pint of Science und Mind the Lab können wir als Wissenschaftler unsere Fähigkeiten in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit verbessern. Denn was wir im Labor besprechen, ist sehr spezifisch und sehr detailliert und nicht jeder möchte das auf dieser Ebene verstehen. Deshalb ist es unsere Aufgabe, herauszufinden, wie wir kommunizieren müssen, um das Interesse unseres Gegenübers zu wecken und wie wir diese Person dann dazu zu bringen, dass sie sagt: "Wow, das ist wirklich cool oder wichtig" und "Ich möchte mehr wissen!"

 

Beeinflussen diese Wisskomm-Erfahrungen Deine Forschung? Führen sie vielleicht sogar zu neuen Ideen für wissenschaftliche Projekte?

Oh ja, ja definitiv! Im Labor sind wir oft sehr fokussiert auf Details. Wenn ich aber allgemeiner über meine Forschungstätigkeiten spreche und mich Fragen von Menschen außerhalb des Expertenkreises erreichen, kann das meine Arbeit im Labor auf jeden Fall beeinflussen. Ich bringe meine Wisskomm-Erfahrungen dann zurück ins Labor und frage mich: "Wie könnte diese Fragestellung in Form einer Forschungsfrage aussehen?" Es ist wirklich inspirierend und das ist wahrscheinlich der dritte Punkt, warum ich Wisskomm praktiziere, weil es mir einfach Spaß macht und es sehr lohnend ist.

Ich nehme auch an dem Programm “Letters to a Pre-Scientist” teil. Da habe ich einen amerikanischen Sechstklässler zum Brieffreund. Es ist ein so einfaches, aber zugleich auch wirklich tolles Programm: Ich bekomme Input von einem Elfjährigen (lacht)! Die Teilnahme hat sich für mich allein schon deshalb gelohnt, weil sich durch den Austausch starre Ansichten, darüber was ein Forscher ist, verändert haben: Zu Beginn des Programms zeichneten die Kinder einen Wissenschaftler als einen weißen Mann. Und jetzt, wenn die Kinder gebeten werden, einen Wissenschaftler zu zeichnen, bilden sie auch Frauen, farbige Menschen usw. ab. Sie beginnen, die Vielfalt darzustellen, die Forschung tatsächlich ist. Ich finde es toll, Teil dieses Prozesses zu sein: Inspiration zu bekommen, aber auch als Wissenschaftlerin Inspiration zurück in die Gesellschaft zu geben. Das Ganze führt dazu, dass mir mein Job einfach noch mehr Spaß macht.

[1]Brüning, J et al, Cell, 2014 and Lippert, R et al, The Journal of Clinical Investigation, 2020
[2]Bodnar, LM et al, International Journal of Obstetrics and Gynecology, 2015 and Basiri, Z et al, Korean Journal of Pediatrics, 2019
[3]Teede, H et al, BMC Medicine, 2018


Kontakt

Dr. Rachel Lippert

Leiterin der Nachwuchsgruppe Neuronale Schaltkreise

Tel.: +49 33 200 88 - 2470
E-Mail: rachel.lippert@dife.de