Mitohormese, Mitokine und gesundes Altern
Ansprechpartnerin: Prof. Dr. Susanne Klaus
Förderer: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zelle und verantwortlich für über 90 Prozent des gesamten Sauerstoffverbrauchs, wobei davon wiederum 80 Prozent zur Energiegewinnung in Form von ATP genutzt werden. Mitochondrien sind essentiell für eine normale Zellfunktion, da sie über die Energieproduktion hinaus unter anderem auch bei Biosynthesen eine Rolle spielen und sich extrem schnell an die metabolischen Bedürfnisse der Zelle anpassen. Als wichtige Faktoren der zellulären Homöostase sind sie auch zellübergreifend für den Gesamtmetabolismus bedeutsam. Störungen der Mitochondrienfunktion spielen eine Rolle bei verschiedenen Krankheiten und auch bei der Alterung des Menschen (Abb. 2.1.).
Eine milde, geringfügige Störung der Mitochondrienfunktion kann jedoch Anpassungsprozesse auslösen, die paradoxerweise metabolische Funktionen sogar verbessern können und so zu einem „gesunden Altern“ führen. Diesen „Mitohormese“ genannten Effekt konnten wir in den letzten Jahren anhand eines Mausmodells belegen. Als Modell für ein gesundes Altern ist die UCP1-Maus durch eine ektopische Expression des Entkopplerproteins UCP1 (uncoupling protein 1) in den Mitochondrien des Skelettmuskels charakterisiert. Trotz einer reduzierten Muskelmasse und -stärke, zeigen diese Mäuse einen gesunden metabolischen Phänotyp und eine erhöhte Lebenserwartung, was nahelegt, dass mitchondriale Entkopplung Alterungsprozesse günstig beeinflussen kann (Klaus & Ost. Exp Geront. 2020).
Neben muskelspezifischen Anpassungen zeigen die UCP1-Mäuse eine Reihe von vorteilhaften Stoffwechselanpassungen in anderen Organen und Geweben, was auf eine Kommunikation zwischen dem Muskel und dem Gesamtorganismus hindeutet, vermutlich durch sogenannte Mitokine. Das sind Zytokine, deren Expression durch eine mitochondriale Dysfunktion ausgelöst wird und die in diesem Fall vom Skelettmuskel sezerniert werden. In unserem Mausmodell konnten wir FGF21 (fibroblast growth factor 21) und GDF15 (growth diffenciation factor 15) als stressinduzierte Mitokine des Skelettmuskels (sogenannte Myokine) identifizieren (Keipert et al. Am J Physiol Endocrinol Metab. 2014; Ost et al. EMBO Rep. 2020).
Obwohl beide, FGF21 und GDF15, durch mitochondriale Dysfunktion und zellulären Stress induziert werden, scheinen sie doch sehr unterschiedliche Funktionen im Energiestoffwechsel zu haben (Klaus et al. Cell Mol Life Sci. 2021). Da sich herausstellte, dass FGF21 für die meisten metabolischen Anpassungen der UCP1-Maus entbehrlich ist, haben wir uns auf die Rolle von GDF15 konzentriert. Die metabolische Bedeutung von GDF15 ist in letzter Zeit verstärkt erforscht worden, insbesondere seitdem mit GFRAL (GDNF receptor alpha-like) ein Rezeptor für GDF15 identifiziert wurde, der ausschließlich im Hirnstamm vorhanden ist und dessen Aktivierung die Nahrungsaufnahme unterdrückt. Bisher ist noch wenig darüber bekannt, welche metabolischen und physiologischen Auswirkungen dauerhaft, endogen erhöhte GDF15-Spiegel haben, wie es bei der UCP1-Maus der Fall ist.
UCP1-Mäuse, bei denen GDF15 durch Kreuzung mit GDF15 knock-out (ko) Mäusen ausgeschaltet wurde, zeigten eine progressive Entwicklung von Adipositas und eine Abnahme der Insulinsensitivität, selbst bei Fütterung einer normalen fettreduzierten Diät. Diese Wirkung konnten wir durch einen tageszeitlich unterschiedlichen anorektischen Effekt von GDF15 erklären. Bei den UCP1-Mäusen ist die GDF15-Sekretion des Muskels am Tag (der normalen Ruhephase von Mäusen) höher als in der Nacht (der normalen Aktivitätsphase von Mäusen). Dies führt zu einer Unterdrückung der Nahrungsaufnahme am Tag, nicht jedoch in der Nacht (Ost et al. EMBO Rep. 2020). Diese auf den Tag beschränkte anorektische Wirkung ist anscheinend ausreichend für die positiven metabolischen Anpassungen der UCP1-Maus.
Weitere Versuche mit UCP1-Mäusen, bei denen der Rezeptor (GFRAL) für GDF15 ausgeschaltet war, zeigten, dass die Aktivierung dieses Rezeptors für die Anorexie verantwortlich ist und eine erhöhte Produktion des Corticotropin Releasing Hormone (CRH) im Hypothalamus bewirkt. Die Ausschüttung von CRH hat somit nicht nur Auswirkungen auf das Essverhalten, sondern auch auf Verhaltensweisen, die mit psychischem Stress und Ängstlichkeit zu tun haben.
Wir konnten belegen, dass UCP1-Mäuse ein reduziertes exploratives Verhalten zeigen, das nach Ausschalten von GFRAL wieder normalisiert ist. Damit konnten wir erstmalig einen zentralen Mechanismus beschreiben, der offensichtlich ein verändertes Fressverhalten und psychischen Stress als Resultat von mitochondrialem Stress auslöst (Igual et al. BiorXiv, 2021). Interessanterweise hat das Ausschalten von GFRAL leicht unterschiedliche Konsequenzen im Vergleich zum Ausschalten von GDF15. Das lässt vermuten, dass GDF15 noch weitere, von GFRAL unabhängige Funktionen hat, was wir jetzt näher untersuchen wollen.